">
Die lange Suche nach dem richtigen Boot, eine Reihe von Besichtigungen und viel Hin und Her haben endlich zur Entscheidung geführt. Die soll es sein. Bei der Notarin in Balk am Ijsselmeer wird der Kaufvertrag beurkundet. Beim anschließenden Gespräch mit den Voreignern und dem Makler im Jachthafen Hindeloopen fragt dieser: "Haben Sie denn schon einen Liegeplatz?" Haben wir nicht, lohnt sich auch nicht, die große Reise soll ja bald starten. "Sie können das Schiff gern in unserem Verkaufshafen festmachen, bis Sie starten. Wir haben immer etwas Platz frei." Huh! Was für ein Angebot! "Was kostet das?" "Ach, das ist Service..." Donnerwetter, was für ein großzügiges Angebot! Kostenlos?! Eine Geröllhalde fällt von meinem Herzen!
Der ist doch niemals hoch genug? Denkste. Der Kranführer, ein munterer Kerl, packt seine Fernbedienung aus. Dann entfaltet sich ein wahres Monstrum mit noch einer Hydraulik und noch einem Gelenk und noch einem Arm... Wie bei diesen Transformers, wenn ein "normales" Auto plötzlich zu einer Kampfmaschine mutiert.
Frans Sytsma, laut den Voreignern "der Beste(!)" Jachtservice, hat das Schiff bereits allein gewassert. Ich reise zum Stellen des Mastes an. Da gibt es Einiges zu lernen. "Frans, wie stellst du die Wantenspannung ein?" "Nach Gefühl." Aha.
Nach getaner Arbeit überführe ich mit Frans das Schiff von Workum in den Nachbarhafen nach Hindeloopen. Jetzt übernachte ich auf dem endlich vollständigen Schiff - ganz allein.
Der Sonnenuntergang und die Abendruhe im Hafen lassen mich entspannen. Wenn da nicht noch ein bis unters Dach volles Auto mit Ausrüstung, persönlichen Klamotten und ein Haufen Kisten und Kästen wäre. Mit dem Handwagen vom Parkplatz zum Liegeplatz ist es gut und gern ein Kilometer, einmal ganz um den großen Hafen herum. Schweißtreibend, das! Als ich fertig bin, ist es längst dunkel geworden.
Expertengutachten Teil 2. Der erste, "trockene" Teil fand vor zwei Wochen in der Winterlagerhalle statt: Prüfung des Unterwasserschiffs auf Osmose (keine), Ruder, Propeller, noch liegender Mast - alles tiptop, befand mit leuchtenden Augen Guido Beekmann, ein sehr sympathischer und sehr kompetenter Experte. So eine Bauqualität! Und die Maschine so sauber, dass man davon essen könnte! Zum Voreigner sagt er: "So etwas Tolles verkauft man doch nicht!" Er beliebt zu scherzen...
Heute also Erprobung im Wasser. Unter Segeln: Spitze. Nur die Wantenspannung von D1 und C1 ist ein wenig schlapp. Stimmte etwas mit Frans' Gefühl nicht?
Gashebel auf den Tisch, Vollgas. Die Maschine kommt nicht auf die Solldrehzahl. Nach wenigen Minuten piept der Überhitzungsalarm ohrenbetäubend. Der Gutachter: Da stimmt etwas nicht. Entweder mit der Steigung des Propellers oder mit den Kühlwasserkreisläufen. Der Voreigner sagt: Das bringen wir in Ordnung, wir übernehmen die Kosten dafür. Boah, super, Chapeau!
In den folgenden Wochen pendele ich zwischen Hindeloopen und Heimatort. Mit Frans schraube ich viel Ausrüstung an und um. Wichtigste Ausrüstung: Eine Windsteueranlage. Aus England bestelle ich eine Hydrovane. Im Vergleich zu anderen Windsteueranlagen bietet die eine Notruderfunktion. Wenn also das Hauptruder des Schiffes ausfällt, kann man von Hand das unabhängige Ruder der Windsteueranlage bedienen. Vor Spanien gibt es angriffslustige Orkas, die anderen Schiffen bereits das Ruder demoliert haben. Ein zweites Ruder bietet also mehr Sicherheit. So eine Windsteueranlage ist "most important Crew member". Sie steuert unermüdlich Tag und Nacht, also 24/7, nach Windrichtung das Boot und wird dabei nicht müde, nicht hungrig oder durstig, sie meutert nicht. Was für eine Hilfe!
Zweitwichtigstes Projekt: Energieversorgung! Ein Windgenerator Silent Wind erzeugt aus Wind Strom bis zu 350 Watt, eine Solarpanelkonstruktion am Heck sowie ein mobiles, auf das Bimini gelegt, bringen jedes bis zu 320 Watt (peak). Eingespeist wird der Strom in die Bordbatterie sowie einen LithiumIonen-Speicher, der vollintegriert einen MPPT-Regler für Solar, einen Wechselrichter für 220 V Wechselstrom und USB-Anschlüsse bietet. Frans übertrifft sich selbst bei der Installation der beiden Victron MPPTs zur Einspeisung des Solarstroms in die Bordbatterien. Gekocht wird nicht auf dem eingebauten Gasofen Marke Force 10, sondern auf einer Induktionsplatte mit zwei Kochstellen und per Mikrowelle mit Backofen und Grill.
Ebenso wichtig wie die Energieerzeugung ist das Einsparen von Energie. Das analoge Radar, der Kartenplotter, die Navigationslichter tausche ich gegen modernste Technik, digital und LED. Damit verbunden ist die Verlegung von Strom- und Datenkabeln quer durch das Schiff. Kopfüber mit Stirnlampe krieche ich durch fast alle Hohlräume im Schiffsbauch und lerne so die Innereien kennen - die des Schiffs, nicht meine. Die Innenbeleuchtung wird auf LED umgestellt.
Inzwischen hat Solveig in großartiger Recherche diverse Ausrüstung wie Saugnapfhaken, Küchenutensilien, BPA-freies Geschirr und Tassen, Topflappen und, und, und bestellt, besorgt, beschafft. Das Schlauchboot aus Neuseeland ist inzwischen an Bord, der Elektro-Außenborder dafür aus China auch. Unser Postzusteller muss mächtig schleppen, der arme!
Mit viel Überblick und Vorausplanung sorgt Solveig für Bettwäsche zu den verschiedenen Etappen, ordert für mich neue Unterwäsche und Socken und vieles anderes Nützliches. Ohne diese Hintergrundarbeit säße ich überfordert da.
Den Watermaker (Meerwasserentsalzungsanlage) aus Australien lasse ich nach Workum zu Frans liefern. Der Karton sieht ziemlich demoliert aus, scheint aber alles heil zu sein.
Die Folien mit dem neuen Schiffsnamen müssen angeklebt, vorher der alte Name abgerubbelt werden. Tschüss Tally Ho, hallo JOLI AME. Zwei Tage lang sind meine Frau, Schwiegermutter mit Mann und zwei meiner Söhne an Bord. Jonah möchte gern unbedingt mit der Drohne Aufnahmen draußen auf dem Ijsselmeer machen. Mist! Maschine springt nicht an. Wie ein Wiesel flitze ich hin und her, um den Fehler zu finden, dabei immer zwischen den fünf im Cockpit Wartenden hindurch. Zwecklos, die Maschine muckst nicht, piept nur mit ungewöhnlichem Rhythmus, der auf "nicht normal" hinweist. Tags drauf, als ich wieder allein an Bord bin, finde ich den Fehler: Das Schiff hat eine Sicherung, damit der Motor nicht anspringt, wenn der Gang eingekuppelt ist, die "neutral safe" Sicherung. Beim Verlegen der Kabel in der Steuersäule für das Radar ist der Kabelschuh dieser Sicherung abgerutscht. Lässt sich hinter dem Motorpanel kurzschließen, muss man aber erst einmal finden...
Fazit dieser zwei Tage: Mit sechs Personen ist das Schiff auf Dauer nicht bequem. Dauernd steht man sich gegenseitig im Weg, der Stresspegel steigt. Wir beschließen: Unterwegs maximal vier Personen an Bord, wenn mehr Leute, nur kurz.
Kurz darauf verbringen wir drei Tage mit ältestem und jüngstem Sohn auf dem Ijsselmeer. Es geht von Hindeloopen erst einmal nach Enkhuizen. Wunderschönes Städtchen mit großer Geschichte und einer schnuckeligen Altstadt. Mutter und ältester Sohn holen sich im Coffeeshop einen Joint. Wegen Corona ist aber der "Verzehr" vor Ort nicht erlaubt. Der erfolgt später unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wirkung? "Merke nix" sagt meine Frau.
Am nächsten Tag geht es zum Markerwadden, einer künstlich aufgeschütteten Vogelschutzinsel im Markermeer. Weil seit Wochen erstmals wieder die Sonne scheint und außerdem Wochenende ist, rufen die aus dem Hafen entgegenkommenden schon mittags um zwei "Voll!" Also umdrehen und ankern, wie so viele andere auch. Das erste Ankermanöver mit JOLI AME dauert, meine Frau wird ungeduldig. Aber gut Ding braucht Weile. Das aus Neuseeland gelieferte Schlauchboot wird erstmals seiner Bestimmung zugeführt, aber noch ohne den Elektromotor aus China. Die drei pullen also an Land, ich bleibe an Bord, wo es genug zu erledigen gibt. Die erste Nacht vor Anker auf diesem Schiff verläuft ruhig. Am nächsten Morgen steht allerdings eine unangenehme Welle auf den völlig ungeschützten Ankerplatz. Außerdem hat sich eine Heerschar von Minifliegen in den Netzen der an Bord allgegenwärtigen Spinnen verfangen.
Zurück in Hindeloopen machen sich die Jungen wieder auf den Heimweg.
Nächster Besuch: Sabine B. aus L. war noch nie auf einem Segelboot, ist aber allen Neuerungen stets sehr aufgeschlossen. Einmal Enkhuizen und zurück, weil die Windrichtung stimmt. Wieder Stadtbummel, nettes Essen in der Craftbeer-Brauerei in der ehemaligen Werft. Auf dem Rückweg schönstes Kaffeesegeln bei Raumschotwind und praller Sonne. Sabine fragt: "Und geht das noch schöner oder ist das schon optimal?" Eigentlich optimal, aber es ginge eventuell noch wärmer.
Stefan und Heike kommen für ein Wochenende an Bord. Stefan ist ebenfalls Segler. Bei der Überführung Richtung Spanien/Portugal dabei zu sein, hat ihn mächtig gejuckt. Aber Job ist Job, unbezahlter Urlaub bei der Fülle seiner Aufgaben nicht drin. Stefan kennt das Ijsselmeer beinahe auswendig. Heikes Bruder hat dort ein 32-Fuß-Schiff, auf dem sie oft Zeit verbracht haben. Stefan hat auch häufig mit Kunden Incentive-Segeln veranstaltet. Beide sind beeindruckt von der großzügigen Bequemlichkeit der Island Packet. Heikes Abneigung gegen Boote, geschürt von der Enge auf dem Boot ihres Bruders, nimmt zusehends ab. Aber bei Dreckwetter? Nein!
Standardprogramm für Besuche: Einmal Enkhuizen und zurück. Mittelprächtiges Wetter, nicht so schön wie bei Sabines Besuch, aber gelungenes Wochenende.
Fast ist alles fertig. Nur eines wurmt noch: das Überhitzungsproblem der Maschine. Frans gibt alles. Das Boot kommt auf den Kran. Wir ändern die Steigung der Flügel des MaxProp-Drehflügelpropellers von 16 auf 12 Grad. Probefahrt. Jetzt kommt das Schiff unter Maschine überhaupt nicht in Schwung. Dann war das wohl zu wenig Steigung. Alles nochmal, Kran, Propeller zerlegen und zusammensetzen, diesmal mit 14 Grad Steigung. Die Zeit für all das ist beim zweiten Durchgang nur halb so lang, schließlich wissen wir jetzt, wie es geht. Wieder rein ins Wasser, Probefahrt: Ja, so kann man das lassen. Solldrehzahl wird erreicht, aber ach du Schreck, immer noch Überhitzung! Feierabend für heute, Frans geht in sich und in die Recherche. In den nächsten Tagen zerlegt er das gesamte Kühlsystem des Motors, wie ein Spürhund auf der Fährte. Kein Fehler zu finden.
Inzwischen müssen meine Frau und ich nach München fahren, um das Zimmer unserer Tochter Merle im Studentenwohnheim zu leeren - das heißt fast zu leeren, denn ein paar Tage lang muss sie noch dort leben. Die jetzt abgegebene Masterarbeit ist exzellent, der Prof beglückt ob Merles Leistung. Dann noch ihre Teilnahme an der deutschen Meisterschaft der Uni-Fußballmannschaften: Sieg!
Frans schickt ein Video. Eine Stunde lang. Blick auf das Motorpanel bei Vollgas = 3900 Umdrehungen/Min. Keine Überhitzung, kein Alarmpiepen. Die Maschine schnurrt wie eine Nähmaschine. Ein Wunder! Nein, sagt Frans, seine Lösung: Verkürzung der Ansaugleitung für den Seewasserkreislauf der Kühlung mit anderem Seewasserfilter. Weniger Schlauch, weniger Widerstand. Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht... Frans ist ein Held.
Von der besten aller Ehefrauen Solveig wird mir ein kleiner Abschiedsabsacker mit den Söhnen in der Il Casale Lounge in Großburgwedel angekündigt.
Welch Freude: Es haben sich Heike und Stefan, Ingrid und Wolfgang, Ingrid und Hartmut, Bettina und Dietmar, Birgit und Andreas, Heike und Olli eingefunden, um uns gebührend zu verabschieden. Wie schön, dass ihr gekommen seid!
Hier im Bild v.l.n.r.:
Heike, Solveig, Jonah, Bettina
Links: Motto
Rechts oben: Solveig und Volker
Rechts unten v.l.n.r.:
Solveig, Dietmar, Bettina, Birgit, Andreas, Jonah
Links oben: Abschiedsplakat
Rechts oben v.l.n.r.: Stefan, Hartmut, Ingrid, Heike
Links unten v.l.n.r.:
Ingrid, Wolfgang, Olli, Heike, Volker
Rechts unten: Solveig und Volker
Am Mittag hole ich meinen Freund Götz in Großburgwedel vom Bahnhof ab. Gemeinsam mit Marvin und Solveig fahren wir mit dem Auto nach Hindeloopen und gehen abends zur Übernachtung an Bord.
Sorry, hoffnungslos unscharfes Foto, aber es war dunkel und wir waren müde und hatten noch sooo viel auszupacken...